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Ein Text von Jean-Christophe Ammann  (2011)

 

Lust, Schmerz, Askese und Ekstase in Beton gegossen

Iris Musolf hat als Jugendliche ihrem Körper nichts erspart. Sie war Kunstturnerin, hat an Wettkämpfen teil-genommen, bis zur Erschöpfung über das vorgeschriebene Maß, trainiert. Ihr Lieblingsturngerät war der Schwebebalken. Der Schmerz, die Leidenschaft waren Wegbegleiter. Gleichzeitig war da der Hang zur Perfektion. Sie liebte das Makellose, das sie zugleich erschreckte. Vor allem als sie schrittweise realisierte, dass das zum Ideal propagierte Makellose in eine Schönheit ohne Resonanz mutierte.

2006, während eines Erasmus-Austausches in der Villa Arson in Nizza – „Nizza war sehr wichtig“, sagt Iris Musolf: „les hommes, les riches, les beaux, les célèbres, les caniches, les bobos et les vieux.“ – und noch Studentin an der Hochschule für Bildende Kunst in Braunschweig, bearbeitete sie Bilder aus Modezeitschriften mit Nagellack, Wimperntusche und Make-up. Zum einen als eine Art Übermalung, zum anderen indem sie die Übermalung auf eine Papierunterlage abklatschte. Das Resultat bildete nicht eine Verfremdung, sondern eine Zersetzung, ja Zerstörung. So auch der Titel eines Blattes: „Frau mit verunstalteten Augen“. Das bemerkenswerte an diesen Arbeiten ist, dass Iris Musolf Materialien verwendet, die gerade der Attraktivität und der Schönheit eines Antlitzes dienen. Es könnte eine feministische Gebärde sein, wie auch die folgenden Werke. Aber das genau ist es nicht. Es ist der Zwiespalt zwischen Attraktion und Repulsion. Das ist die existenzielle Spannung, die die Künstlerin in sich trägt. Die Papierarbeiten von 2006 können ins fiebrige Ungegenständliche abdriften (bei gegenständlicher Vorlage aus einem Modejournal). Sie können sich ins Groteske wandeln („Frau mit Kleid“).Das Blatt „Gebären“, ein collagierter Abklatsch – die Frau ist ausgeschnitten und mit MakeUp und Nagellack ver- und beschmiert. – sieht aus als würde sie ein Monster zur Welt bringen. In „The essence of timeless beauty“ sind die weiblichen Figuren entweder im Einmachglas eingesperrt oder sie zerstückeln sich wie im Stroboskoplicht einer Diskothek („Envie de révéler votre éclat?“). Auch die zuletzt erwähnten Arbeiten wurden nach der Methode des Abklatschens geschaffen.

2007 entsteht sowohl auf einem Frauen- als auch auf einem Männerklo der Braunschweiger Disko „Jolly Joker“ die Videoinstallation „I like to make me up“. Die Kamera filmt die Künstlerin im Spiegel. Im Hintergrund sieht man die kontinuierliche Zirkulation von Mädchen und Jungen. Iris Musolf schminkt sich. Sie nimmt sich Zeit, tut es unauffällig. Das heißt, sie tut es konzentriert. Die Mädchen schauen schüchtern, flüchtig und verstohlen. „Die jungen Männer“, so Iris Musolf, „versuchen mich in der Rolle zu stören. Einer versucht sogar ein Gespräch mit mir anzufangen. Als ich ihn frage, <Do you like it?>, antwortet er: <I like to wash my hands after pissing! You have too much on your face. You have to take a little bit down and than it’s perfect. Ok? I like it! >.“ Ihr Gesicht ist ruhig, ständig wiederholt sie mechanisch „I like to make me up“, „Do you like it?“. Die Kunst des Make-up besteht ja darin, dass man es als solches gar nicht wahrnimmt. Es ist keine zweite Haut. Es ist Realität. Das Antlitz erscheint, leuchtet durch das Make-up hindurch als das eigene Ich. Die mechanische Wiederholung, eine Litanei, gleicht einer Distanzierung in der Wiederholung des täglichen Schminkens. Erneut werden wir mit einer Clinch-Situation konfrontiert: Die Regel, der eingespielte, verinnerlichte Konsens verlangt es, auch wenn da eine innere Ablehnung besteht. Iris Muslof hat die Örtlichkeiten sehr bewusst ausgewählt, denn sie wollte sich auch an ihre eigene Generation wenden. Nur, das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass gerade diese Handlung extrapolierbar ist: Politiker, Banker, Unternehmensberater, Analysten praktizieren genauso ihr „Make-up“.

Der Videofilm „So wie wir alle sind“ (2008) besitzt eine wunderschöne kompositorische Struktur. Aufgenommen in einer U-Bahn Station in Hannover, sieht man die Künstlerin, teils verdeckt, wie sie sich ihrer Jeans entledigt, einen schwarzen Rock anzieht, in schwarze elegante Schuhe, mit halbhohen Absätzen schlüpft, die Nägel lackiert. Als Hostess bei Messen hat Iris Musolf sich Geld zum Studium dazuverdient, vor allem aber um reisen zu können. Die Vorschriften waren strikt. Alles war vorgegeben bis hin zu den Farben des Nagellacks. Der Inhalt besagt: Du kommst aus dem Clinch nicht raus. Die einen überspielen ihn, die anderen ordnen sich unter. Als Künstlerin stellt sich die altbekannte Frage nach Schein und Wirklichkeit, mit dem Unterschied hier, dass sich der Schein heute geradezu dramatisch aller Ebenen der Wirklichkeit bemächtigt.

 

Die Obsession nach der glatten Makellosigkeit hat Iris Musolf am eigenen Körper, im eigenen Aussehen durchexerziert, ins Gegenteil gekehrt und dieses Gegenteil gleich wieder mit einer zugeschneiten Makellosigkeit überdeckt.

 

2009 entsteht das Video „Elle Shape Yourself“. Die Worte sind Namen von Magazinen. Zu Hause in ihrem weiß gekachelten Badezimmer, ihr Gesicht bedeckt mit einer Maske aus Pappe und Bildern aus Zeitschriften, rasiert sie sich mit Rasierschaum die Waden, betupft sie mit Nagellack. Texte, Sätze die die Künstlerin unentwegt wiederholt begleiten diese Handlung. Texte und Lieder aus Audio-Kinderkassetten, aber auch solche, in denen sich Männer und Frauen über Sex unterhalten, über Wünsche und nicht eingelöste Begierden.

Die Wiederholung gleicht einem Mantra, wird erneut zur Litanei. Ihre Stimme ist hinter der Maske zu hören: „Es ist alles wieder schön und sauber und artig und brav und ich funktioniere. Schönheit ist.“

 

Iris Musolf spricht – es ist der 7. August 2011 – über Dinge, die sie faszinieren und abstoßen: Medien in allen Schattierungen, die uns vorgeben, wie das Leben zu sein hat (zum Beispiel „Second Life“), von der Flucht in eine Projektion, die phantasmagorisch die eigene Realität untergräbt und ersetzt, von der Glätte einer Schönheit ohne Widerstände, von glatt polierten schönen Körpern, von Widersprüchen, die in der Zweidimensionalität und Verfügbarkeit des Digitalen aufgehoben werden. – Iris Muslof weiß um die Kraft der Verführung. Ein ganzer Gesellschaftskörper ist ihr ausgesetzt. Dagegen anzukämpfen setzt gewissermaßen eine ideologische Position voraus. Als Wissende aus eigener Erfahrung infiltriert Iris Muslof die Inszenierung der Indifferenz, der rethorischen Differenz, die Flucht in die Ausschließlichkeit des imaginären Körpers.

 

2009 hatte sie die Idee, eine lebensgroße, aufblasbare Sexpuppe in Beton abzugießen. Diesem Vorhaben ging die Vorstellung voraus, sich selbst als Sexpuppe zu verkörpern. Iris Musolf wollte den osmotischen Widerspruch – Realität-Fiktion – am eigenen Körper erleben, sich in eine „Real Sex Doll“ verwandeln. Diesem Widerspruch, der antagonistisch und libidinal den Körper durchdringt, extrem erleben. Beide Vorhaben scheitern.

 

Es war eher ein Zufall, dass sie auf aufblasbare, kleinformatige Tiere stieß: Schaf, Huhn, Esel, Kuh. Eigentlich für Kleinkinder geschaffene Tiere aus der Disney-Welt, mit dem Unterschied, dass diese gefickt werden können. Sie besitzen einen penetrierbaren Arsch. Für das Schaf lautet der Titel: „Dolly the sexy inflatable sheep“. Iris Musolf hat von diesen Tieren zuerst eine Positivform aus Gips geschaffen und sie dann in Beton gegossen.

Ein Husarenstück ist ihr gelungen. Der Sprung in eine Dimension, der ihr ursprüngliches Vorhaben radikalisiert und erweitert.

Natürlich stellt sich die Frage, für wen solche aufblasbaren, kindlichen Tiere hergestellt werden. Sind sie ein pädophiler, sodomistischer Ersatz? Zum anderen stellt sich aber auch die Frage nach der Infantilisierung einer Scheinwelt. Was bedeutet der in seinen Phantasmen eingeschlossene regressiv agierende, sich projizierende Körper?

Iris Musolf stellt die Frage nach dem eingeschlossenen Körper. Erinnern wir uns, dass Marcel Duchamp sinngemäß einmal sagte, dass der Künstler seine eigene Braut, und die Künstlerin ihr eigener Bräutigam sei. Damit umriss er einen kreativen Kreislauf antagonistischer Kräfte.

Iris Musolf erinnert nicht an diese Feststellung! Sie spricht von einer kollabierenden, nicht kommunikativen Energie.

Die Betonfiguren ihrer Tiere haben Arschlöcher, ein Gesicht ohne Ausdeutung, kein Augen. Sie haben ein Gewicht, die Schwerkraft einer Implosion.

Ich glaube, es wäre zu einfach zu sagen, die Betongüsse seien Bestrafung für die ursprüngliche, sexuelle Verwendung der aufblasbaren Tiere. Es gibt auch die masochistische Komponente, sich der Tiere unter Schmerzen zu bedienen. Iris Musolf erwähnt eher beiläufig „das steinerne Weib“ bei Sacher-Masoch. Damit ergibt sich erneut eine Clinch-Situation, eine Gratwanderung zwischen Lust, Schmerz, Ekstase und Askese.

Geht man dem Hinweis der Künstlerin nach, so wird man in der Tat fündig. In „Venus im Pelz“ sagt der Ich-Erzähler:

„Eigentlich interessiert mich die schöne Frau dort oben sehr wenig, denn ich bin in eine andere verliebt, und zwar höchst unglücklich verliebt, noch weit unglücklicher, als Ritter Toggenburg und der Chevalier in Manon l’Escault, denn meine Geliebte ist von Stein. Im Garten, in der kleinen Wildnis, befindet sich eine graziöse kleine Wiese, auf der friedlich ein paar zahme Rehe weiden. Auf dieser Wiese steht ein Venusbild von Stein, das Original, glaube ich, ist in Florenz; diese Venus ist das schönste Weib, das ich in meinem Leben gesehen habe.[...] Genug diese Venus ist schön und ich liebe sie, so leidenschaftlich, so krankhaft innig, so wahnsinnig, wie man nur ein Weib lieben kann, das unsere Liebe mit einem ewig gleichen, ewig ruhigen, steinernen Lächeln erwidert. Ja, ich bete sie förmlich an.

Oft liege ich, wenn die Sonne im Gehölze brütet, unter dem Laubdach einer jungen Buche und lese, oft besuche ich meine kalte, grausame Geliebte auch bei Nacht und liege dann vor ihr auf den Knien, das Antlitz gegen die kalten Steine gepresst, auf denen ihre Füße ruhen, und bete zu ihr.“

Die Phantasmen des Ich-Erzählers gehen so weit, dass das „steinerne Weib“ mit Leben erfüllt wird, mit „warmem Blut und pochenden Pulsen“. „Zwar ist das Wunder“, so der Ich-Erzähler, „erst halb vollbracht. Ihr weißes Haar scheint noch von Stein und ihr weißes Gewand schimmert wie Mondlicht, oder ist es Atlas? Und von ihren Schultern fließt der dunkle Pelz – aber ihre Lippen sind schon rot und ihre Wangen färben sich, und aus ihren Augen treffen mich zwei diabolische, grüne Strahlen und jetzt lacht sie.“[1]

 

Der Hinweis von Iris Musolf ist deshalb aufschlußreich, weil die Vorstellung sich in eine „Real Sex-Doll“ zu verwandeln den Vorstellungen des Ich-Erzählers nahe kommt. Der Geliebte einer „Real Sex-Doll“ frühstückt, diniert mit ihr, badet, föhnt und kämmt sie, kleidet sie, schaut mit ihr fern, verbringt den Schlaf mit ihr, hegt und pflegt sie. Sie ist seine geliebte „Dreiloch-Mieze“.

Der Beton war für Iris Musolf von Beginn an das bestimmende Material mit dem sie die Güsse herstellen wollte. Sie wollte das Grau, die Schwere, die Härte, das Leblose.

Ich stelle mir Gräfin Dracula vor, die zur Vegetarierin geworden ist, jedoch weiter das Blut der Menschen benötigt. Sie verabscheut es und ist dennoch hungrig danach, nicht nur aus existenzerhaltenden Gründen, sondern weil sich Abneigung und Anziehung osmotisch decken.

 

[1] Loepold von Sacher-Masoch: „Venus im Pelz“, Frankfurt/ Main und Leipzig 997. S. 19-22.

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